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1. Besuch aus Mexiko bei Gela Ochsenherz
von Tobias Schlagitweit und Lukas Rachbauer
„Unsere Erfahrung ist: wenn wir das Land gemeinschaftlich bearbeiten, gibt es uns mehr als genug. Doch der Kapitalismus bedroht unsere Lebensgrundlage“, sagte einer unserer Besucher, Angehöriger einer indigenen Maya-Gemeinschaft auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan. Dieses Problem teilt die Gemeinschaft mit vielen anderen indigenen Gruppen, weshalb sie sich untereinander organisierten und auf Initiative des EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) 1996 den CNI (Congreso Nacional Indígena) gründeten. Dieser Kongress ist Teil der zapatistischen Bewegung, die vor allem im Süden Mexikos in autonomen Territorien in Chiapas tätig ist.
Eine etwa 300 Personen umfassende Delegation aus Zapatistas und CNI sind zur Zeit auf einer ‚Reise für das Leben‘ und besuchen die fünf bewohnten Kontinente. Im Mittelpunkt steht die Verständigung um den kollektiven Kampf zur Verteidigung des Lebens, das vom Kapitalismus und den schlechten Regierungen auf der ganzen Welt bedroht ist. Diese Verständigung nutzt die Sprache des Widerstands, die weltweit gesprochen wird. Worum es ihnen auf dieser Reise geht, haben sie in „Eine Erklärung für das Leben“ so formuliert: „… Treffen, Gespräche, Austausch von Ideen, Erfahrungen, Analysen und Einschätzungen durchzuführen – zwischen uns, die wir – von verschiedenen Konzeptionen und unterschiedlichen Terrains aus – für das Leben kämpfen. Danach wird jede/r ihren/seinen Weg fortsetzen oder nicht. Das Andere zu sehen und zu hören, wird uns vielleicht helfen auf unserem Weg – oder auch nicht. Das Andere zu kennen, ist jedoch auch Teil unseres Kampfes und Unterfangens – unserer Menschlichkeit.“ (https://www.zapalotta.org/erster-teil-eine-erklaerung-fuer-das-leben/)
Als wir davon hörten, dass der CNI auch in Wien sei und Gruppen kennenlernen möchte, die Alternativen zum kapitalistischen System leben, luden wir sie ein, unseren Verein GeLa Ochsenherz und unseren Hof kennenzulernen. Eine Solidarische Landwirtschaft, wie wir sie leben, ist immerhin eine funktionierende Alternative zu einem „freien Markt“, wo die Produkte Preise haben und der Profit über Mensch und Natur steht und ihnen folglich oft großen Schaden zufügt. Gleichzeitig wünschten wir uns auch, von ihnen zu hören, was sie dazu bewegte, eine so lange Reise anzutreten: Welche Botschaften bringen sie mit? Welche Herausforderungen haben sie? Wie gehen sie damit um? Was erwarten sie von dieser Reise? Was wollen sie von uns wissen?
Unsere Besucher*innen – eine kleine Delegation von drei Personen und zwei Begleiter*innen – trafen ein, als es draußen schon beinahe dunkel war. Ein kalter, nebliger Novembertag. Wir nutzten das letzte Tageslicht, um ihnen einen kleinen Teil des Hofes zu zeigen. Dabei erzählten wir ihnen, wie unsere Solawi funktioniert und wie wir unser Gemüse anbauen – da unter ihnen auch Bäuer*innen waren, zeigten sie dafür großes Interesse. Anschließend versuchten wir uns bei Tee und Kaffee im Jungpflanzentunnel warm zu halten, während wir unseren Besucher*innen lauschten. Hier unser Gedankenprotokoll ihrer Erzählungen:
Wir haben ein gutes Leben dort, wo wir herkommen. Die Böden sind gut und liefern reiche Ernten. Das traditionelle Anbausystem ist die „Milpa“, eine Polykultur hauptsächlich aus Mais, Kürbis und Bohnen. Auf manchen Feldern werden über 40 Sorten kultiviert. Gepflügt wird mit Pferden und Ochsen, Arbeiten wie Unkraut-Jäten oder Ernten werden gemeinschaftlich organisiert. Die Milpa ist aber nicht nur ein Feld, sie ist auch Ort für Gemeinschaft und Ausbildung und unsere Lebensgrundlage. Die Gemeinschaften versorgen sich selbst. Das Land steht traditionell nicht in Privatbesitz, sondern gehört der Kommune und wird auch gemeinsam bewirtschaftet. Wir nennen es „Ejido“. Allerdings ist es nicht mehr überall so. Seit dem NAFTA-Abkommen 1994 wurde viel Land privatisiert und verkauft. Doch auch in Gegenden, wo die Bauern das Land privat besitzen, arbeiten sie noch sehr kollektiv, beispielsweise beim Jäten und bei der Ernte.
Unsere Waffen sind Gemeinschaft und Solidarität. Durch gegenseitige Hilfe sind wir stärker und können ein gutes Leben führen: wir haben immer genug, wenn wir einander helfen. Unsere Gemeinschaft zeigt sich auch im Feiern gemeinsamer Feste. Davon gibt es viele, wo alle willkommen sind und alle zu essen bekommen. Zur Vorbereitung trägt jede*r etwas bei. Das schweißt zusammen. Es macht uns stark.
Das weiß auch die Regierung, und sie versucht die Gemeinschaften mit allen möglichen Mitteln zu spalten. Wir sind Subsistenzbäuer*innen und nicht auf Geld und Profit orientiert. Das stört die Regierung. Sie drängt uns Programme auf, die anfangs verlockend klingen, aber langfristig schaden. Ein solches Programm ist z.B., dass wir auf einem Teil der Felder nicht Lebensmittel für uns, sondern Obst für den Marktverkauf pflanzen sollen. Wir sollen zu Geld kommen und in die Marktkonkurrenz einsteigen. Einige lassen sich von den Aussichten auf Geld verlocken, aber so werden Keile in die Gemeinschaft getrieben. Die Regierung schenkt uns auch Kunstdünger und Hybridsaatgut, bis wir davon abhängig sind. Danach müssen wir es teuer kaufen. Dass wir unser Saatgut untereinander austauschen, wird uns zunehmend erschwert, und es gibt Bestrebungen, das ganz zu illegalisieren. Deswegen haben wir „Wächter des Saatguts“, denn nimmt man uns unsere Samen, so nimmt man uns unsere Unabhängigkeit. Das größte Problem aber ist, dass sie uns das Land nehmen wollen. Egal welche Partei an der Macht war, alle wollten unser Land. Deswegen glauben wir nicht an die Politik und gehen keine Verbindungen mit ihr ein.
Wir nehmen auch keine Förderungen. Und anstelle der Polizei haben wir Verantwortliche, die sich um Probleme kümmern, Ansehen haben und als Ansprechpersonen da sind. Außerdem gibt es regelmäßige Zusammenkünfte, wo bei leichtem Maiswein über Probleme in der Gemeinschaft gesprochen und Lösungen gefunden werden. Ein Problem sind aber oft Jugendliche, die sich – meist in der Stadt – angewöhnt haben starken Alkohol wie Tequila im Übermaß zu trinken. Diese Besäufnisse brechen mit unseren Traditionen und führen zu Problemen. Außerdem lernen manche jungen Leute in der staatlichen Schule, hochnäsig zu sein. Sie glauben, alles besser zu wissen und lernen, alles „ökonomisch zu denken“, sie wollen dann nur noch helfen und mitarbeiten, wenn sie Geld dafür bekommen. Unsere Gemeinschaften funktionieren aber aufgrund der gegenseitigen Hilfe und Solidarität. In der Staatsschule aber verlernen sie das und werden zu kapitalistisch denkenden Menschen erzogen. Die neoliberale Ideologie bedroht unsere Art zu leben. Wir versuchen die von ihr angesteckten Menschen zurückzuholen, indem wir ihnen Verantwortung in der Gemeinschaft übergeben. Denn trotz der vielen Herausforderungen sind wir eine funktionierende Gemeinschaft.
Wir hoffen, wir konnten die wichtigsten Botschaften unserer Besucher*innen sinngemäß wiedergeben. Da wir selbst die Inhalte teilweise nur durch eine Übersetzerin verstanden, gibt es in unserer Wiedergabe sicherlich Lücken und Ungenauigkeiten. Ihre zentralen Botschaften waren aber klar: Das kapitalistische Wirtschaftssystem und die damit verbundene Politik zerstören die Kulturen, Traditionen und Gemeinschaften der Menschen und die Grundlagen des Lebens in der Natur. Alles, was wir haben, kommt seit Millionen Jahren von der „Mutter Erde“, aber „der Kapitalismus zerstört es in fünf oder zehn Jahren“ (https://www.zapalotta.org/zapatistas-in-wien-2/ ). Dem wollen sie und wollen wir uns nicht fügen. Gemeinsam und solidarisch wollen sie „für das Leben“ kämpfen und suchen dafür auch Inspiration und Verbündete bei uns in Europa.
Noch vieles mehr hätten sie zu erzählen gehabt und auch unsere Fragen wären uns lang nicht ausgegangen. Die Kälte der Nacht war allerdings schon so stark, dass wir gemeinsam beschlossen hier einen Punkt zu machen. Wir bedankten uns gegenseitig für den spannenden Austausch und verließen nachdenklich unseren Gärtnerhof.
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2. Zapatista in Tirol
Station Freirad / Podcast Lichtgabel mit Regula Imhof von der Solawi „Gute Frücht“
⇒ zum Podcast
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