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Saatgutraub-ganz legal?

ÖSTERREICH / SAATGUT: Saatgutraub – ganz legal

von Heike Schiebeck, Longo maï, EBF, 19.07.2023, Veröffentlicht in Archipel 327

In Österreich, dem einstigen Musterland in Sachen Umweltschutz und Biodiversität, findet von der Öffentlichkeit unbemerkt Biopiraterie statt. Wird die EU jetzt dieses Modell übernehmen?

«Menschen haben das Recht, ihr landwirtschaftlich gewonnenes Saatgut oder Vermehrungsmaterial aufzubewahren, zu verwenden, auszutauschen und zu verkaufen.» Dieser Satz steht in der Erklärung der Vereinten Nationen zu den Rechten von Kleinbäuer·innen und anderen Menschen, die vom Land leben[1]. Die Deklaration der Vereinten Nationen wurde 2018 verabschiedet. Die weltweite Bewegung La Via Campesina, in der über 200 Mio. Kleinbäuer·innen, Landlose, indigene Gemeinschaften und Landarbeiter·innen vertreten sind, hat jahreland dafür gekämpft. Die UNO-Mitgliederstaaten sind angehalten, diese Rechte in nationalen Gesetzen zu verankern. Wie schaut es mit der Umsetzung aus?

In unbezahlter Arbeit schufen Menschen über Jahrhunderte die Vielfalt der Kulturpflanzen. Sie gehört niemandem, alle sollten sie nutzen dürfen. Der wilde Apfelbaum kommt ursprünglich aus dem Gebiet des heutigen Kasachstan. Wind, Tiere und Nomad·innen verbreiteten seine Samen. Durch Zufall, Vermehrung und Selektion entstanden hunderte Apfelsorten, die an das Klima einer Region angepasst sind, mit Unterschieden im Geschmack, im Nährstoffgehalt, im Aussehen und in der Lagerfähigkeit. Mit wenig Energieaufwand können wir, gelagert in einem guten Keller, von Juli bis Mitte Mai Äpfel verschiedener Sorten aus dem eigenen Garten geniessen. Diese Vielfalt finden wir auch bei Gemüse-, Kräuter- und Getreidesorten. Hochertragssorten, Industrialisierung der Landwirtschaft und die darauf zugeschnittene Gesetzgebung haben die Sortenvielfalt dezimiert. Weltweit sind bereits 95 Prozent der Kultursorten unwiederbringlich verloren.

Was bedeutet Biodiversität?

Sortenvielfalt, verschiedene Ökosysteme, Vielfalt der Standorte und genetische Vielfalt innerhalb einer Sorte machen Biodiversität aus. Deren fachgerechte Erhaltung ist nur in situ, also standortgerecht und im Anbau von möglichst vielen Samenträgern möglich. In Samenarchiven und Genbanken werden Sorten in kleinen Mengen und grossen Zeitabständen angebaut. Das verringert die genetische Vielfalt der Sorte, die Vitalität, und die Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Umweltbedingungen. Eine lebendige Erhaltung der Vielfalt gelingt erst, wenn sie in grösserem Umfang an unterschiedlichen Orten stattfindet mit einem Austausch zwischen den Orten.

Erhaltung braucht Erhalter·innen

Für die Erhaltung der verbleibenden Sorten können wir auf ein aktives Netz engagierter Menschen, die auf ihren Feldern und in ihren Gärten eigenständig Erhaltungsarbeit leisten, nicht verzichten. Da in Österreich viele Erhalter·innen ihre Anliegen in bestehenden Organisationen nicht mehr vertreten sehen, haben einige 2019 die Initiative «Unverblümt» geschaffen, um sich gemeinsam zu organisieren, etwa bei der EU-Pflanzenpasspflicht oder bei den Regelungen des Saatgutverkehrs. Die Initiative konnte bereits Erfolge erzielen: Das Österreichische Landwirtschaftsministerium hat die Verordnung zur Pflanzengesundheit neu interpretiert. Die neue Bestimmung, eine Berechtigung zur Ausstellung eines Pflanzenpasses erwerben zu müssen, die die Weitergabe von Saatgut erst nach einem kostspieligen Anerkennungsverfahren möglich machen sollte, scheint vorerst von den Erhalter:innen abgewendet. Unverblümt fordert:

  • Saatgut ist Gemeingut und jede·r darf alles anbauen. Jedes Saatgut kann zu Erhaltungssaatgut werden, wenn Erhalter·innen es zur Biodiversitätsentwicklung vermehren.
  • Erhalter·innen und alle, die Erhaltungsarbeit leisten, dürfen ihr Saatgut weitergeben und verkaufen.
  • Niemals darf Saatgut für das Erhaltungsnetzwerk durch Besitzansprüche Einzelner verloren gehen.

Sweet Chocolate und Shintokiwa

Aber die Privatisierung von Saatgut aus Saatgutnetzwerken schreitet von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt voran. Freie oder Vielfaltssorten gelten laut Gesetz als genetische Ressourcen, Erhalter·innen dürfen sie weitergeben und verkaufen. Meldet jedoch eine Firma eine solche Sorte als EU-Handelssorte an, verliert diese den Status als genetische Ressource und diejenigen, die all diese Sorten vor dem Verschwinden bewahrt haben, verlieren ihre Rechte. Die Initiative Unverblümt erhebt zur Zeit Einspruch gegen zwei Sortenzulassungen: Die prominente Biosaatgutfirma Reinsaat meldete den Paprika Sweet Chocolate und die Gurke Shintokiwa als Eigenzüchtung an. Sobald irgendwo eine Sorte zur Zulassung angemeldet wurde, ist ihre Weitergabe in der gesamten EU verboten.

Der Wettlauf um genetische Ressourcen ist in vollem Gange. Züchtungsunternehmen sichern sich die verbliebenen Vielfaltssorten, um daraus Profit zu schlagen. Diese Sorten sind Gemeingut, doch sie sind rechtlich nicht geschützt, sozusagen vogelfrei. Sie können aus digitalen Sortenhandbüchern verschwinden, wir verlieren das Beweismaterial. Deshalb erschien heuer erstmals gedruckt die Sortenfibel von Unverblümt als Dokumentation alter Rechte, um die Sorten vor Aneignung durch Firmen zu schützen.

Was passiert auf EU-Ebene?

Die EU-Kommission arbeitet neuerlich an einem Entwurf zur Novellierung der Saatgutverkehrsordnung. Angesiedelt ist diese Arbeit in der Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, kurz DG Sante genannt.

Als die Kommission 2011 einen Entwurf zur Novellierung vorlegte, waren einige kritische Köpfe schon in den Startlöchern. Der Entwurf mit der Bezeichnung ‚Better Regulation‘ war vor allem für die Saatgutindustrie von Vorteil. Für Kleinbäuerinnen, -bauern und Erhalter·innen der Vielfalt war gar nichts besser, ihr Spielraum sollte weiter eingeschränkt werden. Die Saatgutkampagne, Longo maï und Arche Noah waren überzeugt, dass Better Regulation verhindert werden muss. In Österreich gelang es uns die Umweltorganisation Global 2000 (Friends of the Earth), die viel Erfahrung mit Kampagnenarbeit hat, ins Boot zu holen. Daraus entstand eine europaweite Kampagne gegen den Kommissionsentwurf – mit grossem Erfolg: Das EU-Parlament lehnte ‚Better Regulation‘ im Februar 2014 mit überwältigender Mehrheit ab. Danach wurde es still um die Neuregelung der EU-Saatgutverkehrsordnung.

Manche Organisationen zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt haben in den darauffolgenden Jahren ihre Richtung geändert. In der Zeitung der Euroseed vom September 2021 schreiben Magdalena Prieler (Arche Noah, A) und François Meienberg (Pro Specie Rarae, CH) in dem Artikel «How to Promote Agrobiodiversity and Sustainable Agroecosystems», dass sie die DUS-Kriterien durchaus befürworten. DUS steht für unterscheidbar, uniform und stabil. Alle zum Handel angemeldeten Sorten müssen diese Kriterien erfüllen. Die nicht registrierten Vielfaltssorten sind aber weder uniform noch stabil. Sie zeichnen sich gerade durch vielfältige Ausprägungen innerhalb einer Sorte aus. Diese Aussage und der Abdruck des Artikels durch die Euroseed, der Lobbyorganisation der Saatgutkonzerne, machten uns stutzig: Denn ein erleichtertes Zulassungsverfahren von Vielfaltssorten erleichtert deren Privatisierung.

Der erwartete neue Entwurf zur EU-Saatgutverkehrsordnung lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. In Brüssel will man anscheinend nicht noch einmal wie 2011 eine breite Diskussion in der Zivilgesellschaft entfachen und zieht es vor, sich vor der Veröffentlichung hinter verschlossenen Türen zu einigen. Vieles hat sich verändert: So gewinnen etwa angesichts sich ausbreitender Trockenheit Pflanzen mit dürreresistenten Genen an Bedeutung. Das Business wittert Profite. Erhaltungssorten und ihre Gene, lange als unrentable, alte Sorten belächelt, sind plötzlich für Saatgutfirmen interessant wegen ihrer vielfältigen Eigenschaften.

Arche Noah fordert erleichterten Marktzugang für Saatgut, das vom Industriestandard abweicht. Wie wir wissen, setzt diese Forderung in Österreich Saatgutraub voraus. Ganz zufällig ist der Direktor der Euroseed Österreicher. Ein Mitglied von Via Campesina, das an Sitzungen der DG Sante teilnimmt, in denen auch einige zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten sind, berichtet, dass das österreichische Modell bei der EU-Kommission auf große Zustimmung stösst. Wir erwarten einen dementsprechenden Entwurf der DG Sante.

Wir haben Folgendes gelernt: Rechte nicht Ausnahmen!

Saatguterhalter·innen bewegen sich in einer Nische ausserhalb der Saatgutgesetze. Ihr Saatgut befindet sich jedoch innerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze. Die Erhalter·innen sind ungeschützt und können den Zugang zu ihrem Saatgut verlieren. Die Beispiele Sweet Chocolate und Shintokiwa geben uns die Gelegenheit, die bäuerlichen Rechte, die in der UNDROP-Deklaration verbrieft sind, durchzusetzen. Das Recht auf Saatgut ist ein Menschenrecht.

Heike Schiebeck, Initiative Unverblümt Longo maï, EBF Österreich,

Mehr Infos zur Initiative Unverblümt unter: www.archemitzukunft.net

  1. Artikel 19 von UNDROP (United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas.)