Die großen Supermarktketten sind längst ins Bio-Geschäft eingestiegen und werben dafür mit schönen Bildern von „kernigen Bauern, glücklichen Schweinderln und Kräuterwiesen für das liebe Vieh“ (derStandard). Von der Realität hat schon vor fast einem Jahrzehnt das Buch „Der große Bio-Schmäh: Wie uns die Lebensmittelkonzerne an der Nase herumführen“ von Clemens G. Arvay berichtet. Hier auch ein damals erschienener Bericht in derStandard vom 25.1.2012:
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Ja! Natürlich wollen wir kernige Bauern, glückliche Schweinderln und Kräuterwiesen für das liebe Vieh. Wenn Bio draufsteht, ist das aber noch lange nicht drin
Regina Bruckner
Bio oder konventionell – alles eins? Das nicht. Allerdings liegt der Bio-Massenmarkt viel näher am konventionellen Markt, als der ökologische Nischenmarkt. Und: Die Unterschiede sind weit weg von der Konsumentenerwartung und den Behauptungen durch die Konzerne selbst.
Es waren einmal riesige, gütige Lebensmittelkonzerne, die wollten nur das Beste für die Menschen und die Umwelt. Nur das Optimum ist ihnen im Dienste der Konsumenten gut genug. Deswegen tummeln sich dort, wo unsere Lebensmittel herkommen, fröhliche Kühe auf grünen Bergwiesen. Emsig picken die Henderln vor sonnendurchfluteten Stadln, und hie und da legen sie auch ein Ei. Das Brot kommt aus der Backstube, kernige Bäcker und Bäckerinnen legen zur morgendlichen Stund‘ herzhaft mehlbestäubte Hand in wohligem Ambiente an. Vor allem die Bio-Welt ist voll der sprechenden Bilder und wohlklingenden Begriffe. „Zurück zum Ursprung“ führt man die Konsumenten, „Natur pur“ lässt man ihnen angedeihen und „Ja! Natürlich“ will auch der Verbraucher nur das Beste – darin ist man sich mit dem frechen Schweinderl und seinem großherzigen, in Karo und Lederhose gewandeten Bauer aus der Werbung einig.
Immer mehr Geld für Bio
So viel Idylle, das ist gewiss, sind uns unser Bauernstand und die von ihm produzierten Güter wert. Der kritische Konsument gibt mittlerweile viel Geld für Bio aus, die Umsätze steigen jährlich. Allein zwischen 2006 und 2010 legte der Bioanteil im Frischesegment des Lebensmitteleinzelhandels um mehr als die Hälfte auf 306 Millionen Euro im Jahr zu. Den allergrößten Teil des Kuchens sichern sich in Österreich allerdings die großen Supermarktkonzerne wie Rewe (Billa & Co.), Spar und Hofer. Die Handelsriesen mischen mit ihren Bio-Eigenmarken inzwischen den gesamten Markt auf. Das Geld, das von heimischen Haushalten im Jahr 2010 beim Bio-Einkauf ausgegeben wurde, fließt zu 91,5 Prozent in die Taschen der Supermarktriesen und Lebensmitteldiskonter. Die verbleibenden 8,5 Prozent teilen sich Bio-Läden und Reformhäuser.
„Der Preisdruck auf Bio im Eigenmarkenbereich ist sehr hoch“, beklagte Bio-Österreich-Obmann Rudi Vierbauch vergangenen Herbst. Bei Bio-Eigenmarken, etwa bei Milch, gebe es oft keinen großen Preisunterschied mehr zu konventionellen Lebensmitteln. Die Preisdifferenz zwischen biologischen und konventionellen Produkten bewegt sich laut AMA (Agrarmarkt Austria) etwa bei Milch, Käse und Erdäpfeln zwischen sieben und zehn Prozent. Den größten Preisunterschied von 50 Prozent und mehr gibt es beim Fleisch. Den Konsumenten und Konsumentinnen ist ihr gutes Gefühl den höheren Preis ganz offenbar wert.
Was steckt hinter den Bio-Handelsmarken?
Sind es aber auch die Produkte? Was steckt wirklich hinter den Bio-Handelsmarken der Konzerne? Dafür hat sich Agrarbiologe Clemens G. Arvay für sein neues Buch „Der große Bioschmäh“ mehr interessiert, als den Handelsriesen lieb sein dürfte. Man mag überrascht sein oder nicht: Auf viel Idylle ist er auf der Suche nach der Realität nicht gestoßen. Anstatt auf romantische Bio-Bauernhöfe und zu glücklichen Schweinderln führten ihn seine Ausflüge zu Tierfabriken, endlosen Monokulturen und großflächiger, industrialisierter Landwirtschaft. „Das Erbe der Landwirtschaft ist aufgrund von Konzerninteressen bedroht“, warnt Arvay im derStandard.at-Gespräch. „Auch die Biobauern werden verschwinden, wenn sich die Konsumenten dagegen nicht wehren.“ Nicht die Bioidee an sich sei schlecht, sondern die Vereinnahmung durch die Großkonzerne. Was ihm wichtig ist: „Der Konsument hat mit Biolebensmittel-Kooperativen und solidarischen Landwirtschaftsprojekten Alternativen. Die muss er nützen, um sich und die Bauern aus der Abhängigkeit der Konzerne zu befreien.“
Der biologische Massenmarkt sieht laut Arvays Recherchen dem herkömmlichen Massenmarkt verdammt ähnlich. Das Biobrot kommt aus der Brotfabrik mit dem Charme eines Stahlkonzerns und ist direkt neben einem solchen angesiedelt. Fabrikshallen, Flotten von Lastwägen, Maschinen, Fließbänder, monströse Öfen, bedient von Maschinenführern statt von Bäckern und Bäckerinnen: So sieht der durchschnittliche Biobäcker des Handels aus. Fast müßig zu erwähnen: Das Fußvolk kommt hier zum großen Teil aus dem Ausland, aus Osteuropa, einige auch aus Afrika. Die allermeisten Biobäcker produzieren ihr Biobrot in denselben Nächten, mit denselben Maschinen und auf dieselbe industrielle Weise wie die konventionelle Ware. Auch in der Bioindustrie kommen übrigens Fertigmischungen zum Einsatz.
Automatisierte Biowelt
Und wie geht die industrialisierte Biobranche mit Tieren um? Da braucht man ebenso starke Nerven wie in den konventionellen Agrarfabriken auch. „Obwohl ich als Agrarbiologe gewusst habe, was mich erwarten wird, war wohl die Situation der Nutztiere am schwersten verdaulich bei den gesamten Recherchen“, sagt Arvay. Für das Geflügel-Kapitel betritt der Autor eine eher gruselige Welt: „Eine Bio-Welt der automatischen Vogelnester, des Mittwochs als Bio-Schlüpftag, der Kükenfließbänder und der Todeskarusselle.“ Er trifft auf ein Imperium der holländischen Bruteier, der Hühnerrasse JA-757, der industriellen Fütterungsautomaten und der Kükenvernichtungsanlagen.
In dieser Welt haben Bio-Landwirte nichts mehr mit Bauerntum zu tun, sie sind zu vertraglich gebundenen Hühnerfütterern und Hühnermästern expandierender Handelskonzerne degradiert. Die glücklichen Hühner vermisste der Autor bei Betriebsgrößen von zuweilen 15.000 Stück sowieso. Dafür liegt in so einem Betrieb die Ausbeute bei 14.000 Bioeiern pro Tag. Auch eine Landwirtin aus der Steiermark, die Legehennen für die Bioindustrie hält, kommt zu Wort: „Vor zwanzig Jahren begannen wir als unabhängige Bauern mit fünfhundert Hennen und konnten ein volles Einkommen damit erwirtschaften. Heute haben wir dreitausend Tiere im Stall.“ Damit zähle man zu den Kleinsten der Branche, sagt sie. Das Überleben sichert der Betrieb schon lange nicht mehr, ihr Mann geht nun einer anderen Arbeit nach. Für Arvay liegt der Schluss klar auf der Hand: „Dort, wo die Handelskonzerne ihre Hände im Spiel haben, schaut der Bauer durch die Finger.“ Und das Nutzvieh sowieso, lautet die logische Ergänzung.
Freigang ins Grüne
Kein Vorteil der biologischen Geflügelhaltung gegenüber der konventionellen Bodenhaltung wird in der Werbung offensiver ausgenützt als der Auslauf, der Bio-Henderln und Bio-Puten gesetzlich zugestanden wird. Doch ausgerechnet der Freigang ins Grüne funktioniert nicht. „Mit dem Auslauf klappt es in diesen Dimensionen sowieso nicht mehr“, äußert ein Biokaufmann seine Meinung. Was ihm immer wieder auffällt: „Wann immer ich an einem der großen Bioställe vorbeifahre, sehe ich leer gefegte Auslaufflächen.“ Dass sich auch die Vögel möglichst ihre Füße nicht schmutzig machen sollen, weil die in der Folge produzierten sogenannten Schmutzeier mehr Arbeitsaufwand oder weniger Gewinn für den Betrieb bedeuten, sei nur am Rande erwähnt.
Ungeachtet der fiktiven Werbewirklichkeit stellt sich natürlich auch der Alltag der heimischen Bio-Rinder weit weniger blumig dar, als man die Konsumenten glauben lässt. In mehr als drei Vierteln der Bioställe des Landes sind die Rindviecher während des Großteils ihres Lebens in Ketten gelegt. Möglich ist das durch eine rot-weiß-rote Sonderregelung: Betriebe mit weniger als 35 Großvieheinheiten (500 kg lebende Tiermasse, also ungefähr eine erwachsene Milchkuh, Anm.) dürfen mit der Anbindehaltung froh und munter weitermachen, obwohl diese für Biobetriebe laut EU-Bioverordnung eigentlich verboten ist. Für richtiges Wohlgefühl sorgt auch der „Kuherzieher“ nicht, ein Metallbügel, der die Kühe mittels elektrischem Schlag beim Stuhlgang dazu anhalten soll, ihren Kot nur im dafür vorgesehenen Graben abzugeben. Ein Verbot wird diskutiert.
Triste Realität
Dass es ganz nahe an der Realität wäre, einen TV-Spot zu drehen, in dem das „Ja! Natürlich“-Schweinchen am industriellen Förderband hängend durch einen Hals-Brust-Stich das Leben aushaucht, kann sich der Konsument mittlerweile vermutlich ausmalen. Denn auch die Realität auf den Schlachthöfen nimmt sich eher trist aus. Bio-Tiertransporte laufen nicht anders ab als herkömmliche, in den Schlachtereien steht man unter Zeitdruck, leistet auch hier Akkordarbeit. „Unser Geschäft läuft nur mehr über die maximale Auslastung. Massenproduktion ist die Vorgabe der Handelskonzerne, anders geht heute gar nichts mehr“, erklärt ein Betriebsleiter.
Lediglich 14 elitäre Schweine bleiben in Österreich von einem vergleichsweise tragischen Schicksal verschont: Lisa, Lilli, Engelbert, Susi, Chonchita, Oki Doki, Alles Roger, Sissi, Floh, Chupachup, Yupidu, Schnappi, Pippifein und Hallo Du. Das sind die Fernsehstars der „Ja! Natürlich“-Werbung. Wenigstens sie führen ein überglückliches Leben – am Gnadenhof. (Regina Bruckner, derStandard.at, 25.1.2012)
[Für die im Artikel erwähnte, in Österreich inzwischen 2020 verbotene „Anbindehaltung“ für Bio-Rinder hat die hiesige Landwirtschaft bemerkenswerte Ausnahmen durchgesetzt.]
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Die Zahl der Solawis ist inzwischen auf über 40 gestiegen – siehe die Liste auf dieser Website