Warning: Attempt to read property "ID" on null in /var/www/html/wp-content/plugins/content-control/inc/functions/rule-callbacks.php on line 448 Ist Bio leistbar? – SoLaWi Leben

Ist Bio leistbar?

So fragt Bernhard Freyer in einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung vom 14. Jänner 2022. Er ist Leiter des Instituts für Ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur Wien, war in den 1980ern Senner in der Schweiz, zurzeit arbeitet er an Projekten in Äthiopien. Es geht um die Umstellung unserer Ernährung, das Abgehen von den Methoden der industriellen Landwirtschaft und um die Profitorientierung unserer Wirtschaftsweise, nicht nur in den reichen Ländern des Nordens, sondern global.
Er zeigt die Folgen des heutigen Zustands auf und stellt nüchtern fest: „Hier ist Verzweiflung näher als das Prinzip Hoffnung“.
Er zeigt aber auf, in welche Richtung zu gehen ist. Auf solidarische Landwirtschaft geht er nicht ein, allerdings ist sie es, die die Verzweiflung zum Prinzip Hoffnung zu verschieben sich anschickt, meine ich (Lorenz Glatz sen.)

Hier also weiter zu Freyers Text:

Wollen wir uns nachhaltig ernähren, dann sollen wir Bio kaufen. Ja, das ergibt Sinn. Wir tun ja auch etwas für die Gesundheit. Aber wenn doch ohnehin alle Rückstände unter den gesetzlich zugelassenen Grenzwerten liegen, ist das dann überhaupt ein Argument? Wohl schon, denn wir akkumulieren Tag für Tag Stoffe in unserem Körper, die da nicht hineingehören. Oder haben wir als Konsumentinnen und Konsumenten einen Vertrag mit der Pflanzenschutzindustrie, als Endlager zu fungieren? Ich wüsste nicht.

Das Gegenargument: Ohne herkömmliche Pflanzenschutzmittel wären die Ernten deutlich geringer. Nun, das ist teilweise richtig, aber eben nur teilweise. Aktuell sind Mindererträge vor allem das Ergebnis von Trockenperioden. Übrigens, wenn Bio-Bauern richtig wirtschaften, kann man mit höheren Humusgehalten die Wasserhaltekapazität erhöhen, Trockenperioden besser überstehen und damit Ertragseinbrüche im Pflanzenbau vermindern. Mindererträge sind auch das Ergebnis einer Landwirtschaft mit geringer Artenvielfalt, die es Krankheitserregern und Schädlingen leicht macht, sich zu vermehren. Hier wäre noch einiges mehr zu sagen.

Im Durchschnitt liegen die BioErträge etwa 30 Prozent unter denen des herkömmlichen Landbaus. Aber: Würden wir endlich unseren Konsum an Fleisch und Milchprodukten drastisch senken, würde dies die Ertragsdifferenz weitgehend kompensieren – weniger Futtermittel, mehr Lebensmittel für den direkten Verzehr. Das täte auch unserer Gesundheit gut. Schon seit Jahrzehnten erklärt uns die Wissenschaft, dass unsere Ernährung falsch, gesundheitsschädlich und volkswirtschaftlich unsinnig ist. Würden wir unsere Ernährung in Richtung Bio und weniger Fleisch verändern, müssten wir keineswegs darben – im Vergleich zur übrigen Weltbevölkerung befänden wir uns immer noch im Schlaraffenland.

30 Prozent dienen der Regeneration

Warum sind eigentlich die Bio-Erträge geringer? Auch das ist einfach erklärbar. Gut 30 Prozent der Produktion werden in die Bodenfruchtbarkeit investiert. Das bedeutet den Anbau von Pflanzenkulturen, die in der Lage sind, Stickstoff aus der Luft zu binden und ebenso einen hohen Anteil an Kohlenstoff. Dazu zählen im Wesentlichen Klee und Luzerne. Dies erhöht nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern reduziert auch die Treibhausgase, und die Landwirtschaft wird damit unabhängiger – ein Aspekt, der in Krisenzeiten von erheblicher Bedeutung ist. Diese 30 Prozent sind auch in unserem Tageszyklus wiederzufinden: Sieben bis acht Stunden Schlaf dienen der Regeneration.

In der herkömmlichen Landwirtschaft wird der Stickstoff primär mithilfe von fossilen Energieträgern erzeugt. Die ökologische Bilanz dieses Verfahrens ist miserabel. Seinerzeit diente die Herstellung von Ammoniak für die Sprengstoffproduktion. Ammoniak ist ein stechend riechendes Gas, das sich in Salpetersäure und Ammoniumnitrat umwandeln lässt. Beide Substanzen sind hoch explosiv. Erfunden wurde das Verfahren für die Munitionserzeugung von Fritz Haber und Carl Bosch in den 1920ern.

Die Verwendung in der Landwirtschaft war dabei eher ein Nebenprodukt und nach Auffassung von Fritz Haber dort gar nicht notwendig, da man ja Leguminosen hatte, welche diese Funktion übernahmen. Später wirkte Haber auch an der Herstellung des Schädlingsbekämpfungsgases Zyklon B mit. Selbst jüdischer Abstammung und später denunziert, ahnte er damals nicht, dass genau dieses Gift später in den Gaskammern gegen sein eigenes Volk eingesetzt werden sollte.

Viele meinen, bei 100 Prozent Bio-Landbau würden wir verhungern. Fakt ist, dass aktuell vermutlich mehr als eine Milliarde Menschen auf diesem Globus hungern. Wohlgemerkt nicht aufgrund des ökologischen Landbaus, denn dessen Anteil liegt global deutlich unter 1 Prozent. Hunger ist also nicht das Ergebnis des Landbaus selbst, sondern einer Vielzahl anderer Verwerfungen. Ob der Hunger bei einem höheren Bio-Anteil noch größer wäre, lässt sich ad hoc nicht beantworten – denn dies geht weit über Veränderungen in der Landwirtschaft hinaus.

Bio-Landbau könnte Afrikas Erträge verdreifachen

Schauen wir auf einen Kontinent, der eigentlich von besonderem Interesse Europas – weil direkt vor der Haustüre gelegen – sein sollte: Afrika. Mit Blick auf den Durchschnittsertrag, sei es Getreide, Kartoffeln, Milch oder Fleisch, liegt dieser bei rund einer Tonne je Hektar (100 mal 100 Meter). Eines der größten Probleme auf dem afrikanischen Kontinent ist die Bodenerosion, und die setzt ein, wenn die Bauern nur wenige Kulturarten anbauen, die nicht in der Lage sind, schlussendlich irreversible Bodenschäden zu vermeiden. Das Ergebnis ist seit Jahrzehnten: 100 Prozent Flächenverlust beziehungsweise extrem geringe Bodenfruchtbarkeit. Kein Mineraldünger und kein Pestizid alleine kann dies verhindern.

Eine auf Humuswirtschaft aufbauende biologische Landwirtschaft schon. Die Ergebnisse wären konservativ geschätzt eine Verdreifachung des aktuellen Ertragsniveaus und die Vermeidung irreversibler Flächenverluste. Dieses Produktionsniveau liegt noch immer unter jenem der westlichen Industrienationen mit günstigen Klimabedingungen. Aber es wäre hinreichend dafür, dass Afrika nicht länger auf Lebensmittel von außen angewiesen wäre, sondern ein Lebensmittelexporteur würde.

Ist das spekulativ übertrieben? Keinesfalls! Bloß: Wer kann sich in Afrika Bio-Preise leisten – sicherlich so gut wie niemand. Jedoch gibt es zunächst auch keinen Grund, die Preise zu erhöhen, wenn die Produktion mengenmäßig verdreifacht werden kann, bei Kosten, die kaum steigen.

Und wie sieht es bei uns im Norden aus? Ist hier Bio für alle bezahlbar? Nein, mit Sicherheit nicht. Auf der anderen Seite lässt sich aber argumentieren, dass die Preise zwar für kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe nicht ausreichen, hier stimmt die Ökonomie für ein Bio-Ernährungssystem bei weitem nicht – aber sie stimmt auch aktuell nicht bei der herkömmlichen Landwirtschaft. Denn Umwelt- und Gesundheitskosten des fehlgeleiteten Ernährungssystems sind nicht unmittelbar sichtbar, sondern werden von uns über das Steuersystem finanziert, oder aber die Kosten werden auf Folgegenerationen verlagert.

Die Umstellung der Ernährung ist jedenfalls ein facettenreiches Thema. Denn noch immer gilt: „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ – während ein potenzieller Slogan „Karotte ist ein Stück Lebenskraft“ noch nicht Fuß gefasst hat. Und wie soll ein Ernährungswandel gelingen, wenn allein schon die letzten Meter vor der Kasse im Supermarkt mit Süßigkeiten und Softdrinks gespickt sind, also mit allem, was als Einstieg in eine Fehlernährung wissenschaftlich belegt ist? Wenn die Werbung Kinder von klein auf in die falsche Richtung manipuliert und gesunde Ernährung für Eltern zu einem schier aussichtslosen Kampf wird? Hier ist Verzweiflung näher als das Prinzip Hoffnung – volkswirtschaftlich gesehen ein völliger Unsinn.

Sind wir schon so weit, das gesamte Ernährungssystem und die Produkte auf Bio umzustellen? Nein, es gibt noch viel zu tun. Aber die Zeit ist mehr als reif, die wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Kräfte zu bündeln und dieses Thema ganz oben auf die Agenden zu positionieren und entsprechend zu handeln.