9. Auf der Suche nach Antworten
Bis hierher sollte klar geworden sein, dass sich zwar bereits einige Vorgehensweisen und Strukturen bewährt haben, zugleich aber ausreichend offene Baustellen bleiben. Auf der Suche nach Antworten experimentieren wir, probieren Ansätze aus, verwerfen sie wieder und probieren neue. Dieser Abschnitt beleuchtet ein paar der laufenden Experimente:
9.1 Das Einkommen der Produzierenden
Wie auch bei den Lebensmitteln sind wir alle darauf konditioniert bei unserer Arbeitszeit und unseren Einkommen nach Preis pro Menge zu fragen. Wie viele stunden muss ich arbeiten und wieviel Geld bekomme ich dafür? In einer rein geldvermittelten Ökonomie scheint das ja auch sinnvoll. Der Gegenspieler ist der Chef, der möglichst viele Stunden für möglichst wenig Geld von uns will. Wir hingegen wollen das Gegenteil. Das ist einer der zentralen Gegensätze in unserem ökonomischen System.
Davon ausgehend haben wir viel an Überlegung und Diskussion in „faire Gehaltssysteme“ bei angestellten Produzierenden gesteckt, denn traditionell ist gerade in der Landwirtschaft die Entlohnung miserabel. Umgekehrt ist es bei selbstständigen Produzierenden schon schwieriger, die Gefahr, der Selbstausbeutung ist da, gerade bei Menschen, die für die solidarische Landwirtschaft brennen, noch einmal grösser. Es besteht die Gefahr, dass sie nehmen, was „halt übrigbleibt“.
In beiden Fällen bleibt unser Denken jedoch in der Kategorie Preis pro Menge verhaftet, eine Kategorie, von der wir doch auf Seiten der Hofteiler*innen stolz sind, sie so weit wie schon möglich verlassen zu haben.
In einer unserer Solawis versuchen wir diese Fragen aufzubrechen, in dem wir das Prinzip, das für die Beiträge wie auch die Lebensmittelmengen der Hofteiler*innen gilt, in einem nicht geringen Sprung auf die Produzierenden ausdehnen: Was brauche ich? Und was kann ich beitragen? Nur eben hier nicht mehr „nur“ auf finanzielle Beiträge und Lebensmittelmengen bezogen, sondern auch auf Gehälter und Arbeitsstunden.
Die Antworten auf diese Fragen gehen natürlich individuell weit auseinander. Welche finanziellen Ressourcen benötige ich in meiner aktuellen Lebenssituation? Der Produzierende, dessen Frau mit den beiden Kindern in Karenz ist, wird mehr benötigen als die alleinstehende Kollegin, die sich aus ihrem Garten so nebenbei noch mit Freude selbst versorgt. Umgekehrt fragt sich: Wieviel kann ich in welcher Form zeitlich beitragen, ohne mich zu überlasten oder gar in Richtung Burn-out zu taumeln? Wie kann ich arbeiten, ohne Stunden zu zählen oder mich verpflichtet zu fühlen, genauso schnell und viel zu arbeiten wie die Person mit der meisten Energie?
Wenn diese Fragen offen angesprochen werden können, was gerade in Österreich auch das Brechen eines Tabus, nämlich des Sprechens über das jeweilige Einkommen beinhaltet, so wird das auch eine Frage des Miteinanders mit den Hofteiler*innen: Was ist leistbar, finanziell und mit unserer Arbeitszeit? Wie sieht der gemeinsame Weg aus? Braucht es zum Beispiel mehr ehrenamtliche Mitarbeit?
Den Fokus auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten, statt auf Preis pro Menge auf alle handelnden Personen auszudehnen bringt Produzierende und Hofteiler*innen zudem näher zusammen, denn dieser Fokus gibt nun eine gemeinsame Klammer über beide Gruppen anstatt in Form des Geldes trennend aufzutreten. Die gemeinsamen Fragen sind nun: Was brauche ich? Und was kann ich beitragen? Im Idealfall können daraus neue Formen von materiellem und persönlichem Austausch und gegenseitiger Hilfe entstehen, aber das muss sich erst noch zeigen.
Hier geht es jedenfalls ans Eingemachte des Systems. Wir sind wert was wir bezahlt bekommen, so in etwa sind wir das doch gewöhnt. Das ist es, was wir gelernt haben, wenn wir es zuspitzen wollen. Das zu durchbrechen ist außerordentlich schwierig, braucht viel Vorsicht, gegenseitige Rücksichtnahme und Achtsamkeit.
Doch genau das probiert eine der Solawis soeben: Flexibel und regelmäßig gemeinsam auf die eigenen Bedürfnisse zu schauen und die Entlohnung diesen durchaus auch monatlich anzupassen. Gelingt uns das? Wir werden sehen.
9.2 Gemeinsame Entscheidungen
Die Entscheidungsstrukuren unserer Solawis sind höchst unterschiedlich. Sie reichen von Hofteiler*innentreffen, die die selbstständigen Produzierenden beraten, bis hin zu Strukturen in denen die Hofteiler*innen und die Produzierenden gleichberechtigte Vorstände bilden, die einander nicht überstimmen können.
Beides hat den Nachteil schwellen für das Engagement von Hofteiler*innen aufzubauen, die sich zunächst weniger beteiligen (können). Wie also diese Einbindung bewerkstelligen? Ein Modell sind vor- oder untergeordnete Arbeitskreise, die Themen selbstständig bearbeiten, beschließen und/oder umsetzen. In der Regel sind das Themen, die nicht unmittelbar produktionsbezogen sind, also beispielsweise das Suchen nach neuen Hofteiler*innen, die Organisation von Festen oder auch die Organisation der Verteilung, so sie nicht durch die Produzierenden selbst geleitet wird.
Ein weiterer, neuerer, Versuch ist, die Entscheidungstreffen aller Belange, also inklusive grundlegender Produktionsthemen prinzipiell für die Hofteiler*innen zu öffnen und diese zur Mitgestaltung und Mitentscheidung einzuladen. Das bedeutet zwar einen höheren Zeitaufwand, da Themen länger eingeführt und erklärt werden müssen, bietet aber möglicherweise mehr Anziehungskraft, um die Beteiligung durch die Hofteiler*innen auf eine breitest mögliche Basis zu stellen.
Wie gut dieser Zugang umsetzbar ist, hängt einmal mehr mit der Größe der Solawi zusammen – je größer diese wird, desto schwieriger wird es alle Entscheidungsforen zu öffnen. Machbar ist es aber allemal.
9.3 Partizipative Garantiesysteme
Einige unserer Solawis sind Mitglieder bei externen Zertifizierungsgremien, konkret beim Demeter Verband und / oder bei Bio Austria. Diese Mitgliedschaften sind mit Kontrollen durch diese Organisationen bzw. ihre Vertreter verbunden, woraus die Idee geboren wurde sich von diesen Prozessen zu entkoppeln und einen Weg zu finden eine Form der Zertifizierung von und durch die Hofteiler*innen zu schaffen, für die schließlich produziert wird.
In Umsetzung ist ähnlich wie bei einer Rechnungsprüfung freiwillige Hofteiler*innen zu finden, die mehrmals im Jahr gemeinsam mit den Produzierenden auf den Hof kommen und die Produktion wie auch die Verwaltung nach sozialen, ökologischen und solidarökonomischen Kriterien überprüfen.
Als Ausgangspunkt ist ein Prüfungsdokument auf Basis der Statuten der Solawi in Zusammenarbeit mit Expert*innen für Solidarökonomie und ökologischem Landwirtschaften angedacht, das auf Basis der Prüfungsergebnisse und Erfahrungen schrittweise verbessert wird.
Die Erwartung ist, dass durch einen solchen Prozess zum einen weitere Hofteiler*innen enger an das Projekt gebunden werden, vor allem aber, dass anhand des Prüfberichts bei der Jahresversammlung und des daraus ergebenden, sich jährlich wiederholenden, Prozesses eine lebendige Diskussion über die ideellen Ziele der Solawis und deren Umsetzung angestoßen und in Gang gehalten werden kann.
Aktuell funktioniert die Kommunikation bei den meisten unserer Solawis zentral und in eine Richtung: Vom Zentrum zu den Hofteiler*innen in Form von Informationen oder auch Aufrufen. Das ist für die meisten Anliegen so notwendig wie sinnvoll, erschwert aber zugleich das Entstehen einer lebendigen Community.
Wünschenswert sind also dezentrale Möglichkeiten der Kommunikation und des Austauschs der Hofteiler*innen und der Produzierenden. Angedachte Beispiele sind gemeinsame Stammtische, Tausch- und Schenkbörsen für Lebensmittel und nützliche Dinge des täglichen Gebrauchs.
Ziel ist es eine lebendige, egalitäre und niederschwellige Interaktion aller Hofteiler*innen und Produzierenden, bewusst über den Lebensmittelbezug hinaus, in Gang zu setzen.
9.5 Kooperationen über den Kreis der Solawis hinaus
Über die interne Zusammenarbeit der Solawis hinaus, gibt es eine Reihe von Kooperationen mit markwirtschaftlich agierenden Bio-Landwirtschaften. Sofern das nicht unmittelbar nach dem Schema von Kauf und Verkauf funktioniert, entstehen hier Versuche diese Kooperationen auf solidardwirtschaftliche Basis zu stellen.
Vereinfacht gesagt übernimmt die Solawi einen Prozentsatz der Produktionskosten (nicht des Marktwertes!), also aller Kosten inklusive der Lebenshaltungskosten des Partners und bekommt dafür eben diesen Prozentsatz an Produkten in Abhängigkeit von den tatsächlichen Erntemengen. Genauso wie bei der eigenen Produktion übernehmen so die Hofteiler*innen das Ausfallsrisiko bzw. die Vorteile einer guten Ernte, nur eben anteilig und nicht zur Gänze.
Voraussetzung für ein derartiges Vorgehen ist Kostentransparenz des Partners der Solawi gegenüber und das Vertrauen der Solawi in diese Zahlen bis sich ein gemeinsamer Modus zur Überprüfung / Einsicht etabliert hat.
Dem Partner hilft die Risikoübernahme, auch wenn er bei überdurchschnittlichen Ernten weniger Einkommen erzielt (dann aber möglicherweise auch die Preise, die er am Markt erzielen kann, geringer sind). Wie sich solche Kooperationen auswirken, ob damit ein marktwirtschaftlich wirtschaftender Betrieb mit der Solawi Idee angesteckt wird, oder ob das Modell negative Rückkopplungen auf die Solawis hat, wird genau zu beobachten sein.
10. Zusammenfassung und Ausblick
Was passiert also in unserem Biotop ökonomisch? Spannendes, wie wir meinen: Zum einen wird das Konzept von Preis pro Menge an beiden Enden der Gleichung aufgeweicht, zum Teil sogar aufgegeben. Das Kilogramm Erdäpfel „kostet“ für jede/n unterschiedlich, je nachdem was sie und er eben beitragen kann. Und auch das Kilogramm ist kein Kilogramm mehr, sondern jene Menge, die Menschen aktuell brauchen und die das Land uns gibt. Versuchsweise findet dieser Paradigmen Wechsel selbst bei den Arbeitsstunden und Einkommen der Produzierenden statt. Man sieht schon mit Marktwirtschaft hat das nichts mehr zu tun, hier entsteht etwas Neues.
Jeder trägt bei, was er kann und jede bekommt, was sie braucht – So freundlich utopisch das klingen mag und ist, so ist es doch auch trügerisch, da beides immer noch unter dem ökonomischen Zwang der Marktwirtschaft ablaufen muss. Es müssen also ausreichende Mengen zum Verteilen existieren und Gelder eingenommen werden, um die Produktion zu gewährleisten. Das kleine Utopia ist also in einen Ozean namens Marktwirtschaft eingebettet und durch die monetären Sachzwänge wie auch unsere tief eingelernten und selten hinterfragten „Selbstverständlichkeiten“ in keinster Weise unabhängig von diesen.
Was kann also das Modell der Solawis, was können unsere konkreten Erfahrungen in einem hochentwickelten Industriestaat zum Erfahrungsschatz der emanzipatorischen Bewegungen beitragen?
Mit ihren zarten Versuchen die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen, ihre Gemeinschaft untereinander, verbunden mit einem achtsamen und nachhaltigen Umgang mit der Natur ins Zentrum der Wirtschaftsweise zu stellen und nicht länger Profit, Konkurrenz, Wachstumszwang und Ausbeutung der Umwelt zum Maß der Dinge zu erheben, können Solawis Keimzelle für einen Neubeginn sein, auch wenn sie aktuell noch in das enge Korsett der alles durchdringenden Marktwirtschaft eingebettet sind.
Alleine können das einzelne Solawis aber unmöglich leisten, zentral ist ein Wachstum der anderen Art: Nicht grösser gilt es zu werden, sondern mehr, Produzierende direkt mit Hofteiler*innen zu verbinden, Erfahrungen untereinander weiterzugeben und Kooperation an die Stelle von Konkurrenz zu setzen.
In den letzten zehn Jahren sind in Österreich ausgehend von einer einzelnen Solawi etwa 40 bis 50 Initiativen entstanden, durchaus aus unterschiedlichen Motivationen, unterschiedlich stark ausgeprägten emanzipatorischen Ansätzen und mit unterschiedlichen Größen und Erfahrungen. Gebraucht werden allerdings tausende, um eine Richtungsänderung in der Produktionsweise von Lebensmitteln zu etablieren und nicht zuletzt in unseren Köpfen durch- & umzusetzen. Dieser kontinuierliche Aufklärungs- und Diskussionsprozess ist eine der wesentlichen Aufgaben der nächsten Jahre, parallel zur täglichen operativen Umsetzung von Lebensmittelproduktion und -verteilung.
Um die Grundlage dieser Bewegung abzusichern ist es notwendig, die materielle Basis der Solawis der marktwirtschaftlichen Verwertung permanent zu entziehen und sie für diese neue Art des Wirtschaftens zweckzuwidmen. Die in Abschnitt sechs angeführte Munus Stiftung kann dafür als Werkzeug dienen, aber wer weiß, vielleicht wird es weitere, zusätzliche kreative Umsetzungen mit diesem Ziel geben. Zentral ist der gemeinsame Ansatz, die Wiedererrichtung von Commons, von Allmenden, von Eigentum also, das gemeinschaftlich von den Menschen verwaltet wird, die es auch nutzen.
Wünschenswert wäre es Wege zu finden, die hier erwähnten Prinzipien und Erfahrungen auch auf andere Produktions- und Verteilungszweige auszudehnen. Lebensmittel sind wohl unser zentralstes Bedürfnis, aber nicht unser einziges. In der Wohnungsfrage sind das Mietshäuser Syndikat in Deutschland und Habitat in Österreich auf einem vielversprechenden Weg, doch viel mehr ist nötig.
Sollte es gelingen zusätzlich zum Wachstum der solidarischen Landwirtschaft weitere Keimzellen in anderen Produktionsbereichen zu etablieren, könnten neue Synergien gefunden werden: Der nicht monetäre, sondern bedürfnisorientierte Austausch zwischen diesen Wirtschaftszweigen. Damit wäre ein weiterer großer Meilenstein erreicht.
So können wir Schritt für Schritt, kleinteilig und regional und hoffentlich immer schneller durch experimentieren, lernen und umsetzen die immensen Schäden, die wir auf unserem Planeten bereits angerichtet haben, nicht nur korrigieren, sondern ökologisch, ökonomisch und sozial im Gegenteil ins positive Wandeln.
Für gutes Essen für alle. Für ein gutes Leben für alle und alles.