Rio Reiser, Sänger von »Ton, Steine Scherben«, sang seinen Traum so: »Ich bin nicht über dir, ich bin nicht unter dir, ich bin neben dir.« Wenn wir alle bei und neben uns, nicht über oder unter uns wären, dann wäre die leidvolle Herrschaft des Kapitalismus wohl beendet und auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet.
HEINZ WEINHAUSEN (Contraste 444 Sept. 2021)
Dann wäre das Getrenntsein voneinander überwunden, dann wäre die durch die Warenproduktion gesetzte Konkurrenz untereinander Vergangenheit. Wäre die Menschheit ein »Verein freier Menschen«, wie es Marx in seinem analytischen Werk »Das Kapital« ausdrückte, dann bräuchten wir nicht mehr für den Markt mit seinen unerbittlichen Zwängen zu produzieren. Unerbittlich für die Verliererinnen, triumphierend für die Gewinnerinnen, die morgen wiederum im Wachstumskampf schon ruiniert sein können. Im Hier und Heute »ernten« wir in vermehrten Naturkatastrophen die Konsequenzen einer entfesselten Ökonomie. Ob Neoliberalismus oder Keynesianismus, der wirtschaftliche Zwang zum Wachstum weiß nichts davon, dass es nur eine einzige Erde für die Pflanzen, Tiere und Menschen gibt. Viele Menschen wissen heute allerdings, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht so weitermachen kann – und sie machen doch weiter. Gibt es Hoffnung auf einen weltweiten vernetzten »Verein freier Menschen« mit gemeinsamen Land und Produktionsmitteln jenseits von Ware, Markt und Staat? Bleibt Hoffnung für ein würdiges Überleben der Menschheit? John Holloway sieht diese durchaus, er sieht sie in den so vielen und vielfältigen Menschen selbst, die die Zumutungen der Marktwirtschaft nur schwer auszuhalten
wissen. In seinem Buch »Kapitalismus aufbrechen« blickt John Holloway in verschiedenste gesellschaftliche Bereiche. Überall sieht er Risse im »business as usual«. Einige nennt er beispielhaft in der Einleitung seines Buches. Der getaktete Fabrikarbeiter aus Birmingham gärtnert im eigenen gelassenen Rhythmus. Das Mädchen in Tokio geht heute nicht zur Arbeit und liest ein Buch im Park. Die Krankenschwester in Seoul hilft gewissenhaft ihren Patient*innen trotz vieler Widrigkeiten. In Rom besetzen befreundete Wohnungslose ein leerstehendes Haus. Menschen in Cochabamba kämpfen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung. Lehrerinnen in Puebla kämpfen trotz Repressionen für eine andere Art von Schule. Indigene Bäuer*innen in Oventich, Chiapas, verteidigen ihren autonomen selbstregierten Freiraum. »Wir sind recht gewöhnliche Frauen und Männer, Kinder und Alte, Rebellen also, Nonkonformisten, wir sind fehl am Platze, Träumer« sagen die mexikanischen Zapatistas in einem ihrer Aufrufe. Da spricht die Hoffnung. Viele, viele auf der ganzen Welt sehen sich fehl am Platze und suchen ihren menschenwürdigen Platz, ihr gesellschaftliches Zuhause. In seinem Buch geht der Autor dieser Hoffnung auf den Grund und entwickelt eine sehr lesenswerte Krisentheorie. Seine Schlussfolgerungen daraus, das mögliche Erweitern der Risse, das mögliche Aufbrechen des Kapitalismus stellen wir im Schwerpunkt als Auszug aus seinem Buch vor. Durchaus mit der Absicht, dass daraus vielfältige Taten folgen.