In den Medien und den Ansagen der Regierungen und auch nicht weniger Experten wird COVID-19 als „Naturkatastrophe“ bezeichnet und das neue Corona-Virus als ein Feind bezeichnet, gegen den zum „Krieg“ aufgerufen wird. Tatsächlich aber gilt:
COVID-19 ist eine Katastrophe mit Ansage1
Die vielen im Folgenden kursiv gedruckten Passagen entstammen diesem Buch:
Rob Wallace: Was Covid-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur
und dem Agrobusiness zu tun hat (PapyRossa Verlag, 2020, € 20,-)
„Unter Fachleuten war von dem Ausbruch niemand überrascht, die WHO spiele schon lange unter dem Platzhalternamen ‚Disease X‘, Szenarios durch“, stellt „Die Zeit“ (20.5.20) fest… Dennoch unternahm niemand etwas, niemand traf auch nur einfache konkrete Vorbereitungen. 2012 entwickelte das Robert Koch Institut in Deutschland … ein Szenario, in dem eine „Pandemie durch Virus Modi-SARS durchgespielt wurde. In dieser Risikoanalyse eines „außergewähnlichen Seuchengeschehens“ heißt es: „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Erreger mit neuartigen Eigenschaften, die ein schwerwiegendes Seuchenereignis auslösen, plötzlich auftreten können.“ Das Szenario beschreibt viele Aspekte der COVID-19-Pandemie präzise („…stammt aus Südostasien, wo der bei Wildtieren vorkommende Erreger über Märkte auf den Menschen übertragen wurde…“), andere Annahmen sind plausibel. Die Gefahr überlasteter Krankenhäuser mit der Folge vermeidbarer Todesopfer wird aufgeführt.
Allerdings versahen die Verfasser ihr Planspiel lediglich mit der Eintrittswahrscheinlichkeit „bedingt – einmal alle 100 bis 1000 Jahre“. Vielleicht schien dieses Risiko den … Behörden vertretbar… Jedenfalls kümmerten sie sich nicht um Vorräte an Schutzkleidung, Schutzmasken und Beatmungsgeräten, und schon gar nicht um ausreichend Personal in den Gesundheitsämtern und Krankenhäusern. Die nationalen Behörden, die solche Entscheidungen treffen, jonglieren mit vielen unterschiedlichen und oft widerstreitenden Interessen. Sogar eine tödliche Epidemie zu beenden ist nicht immer ihr oberstes Ziel. In einem Zeitalter, das der Austerität huldigt, wollen allerdings nur wenige Gesetzgeber für Katastrophen bezahlen, für die es keine Garantie gibt. (8-10, 163, 162)
COVID-19 war schließlich nicht der erste Fall von Seuchen, die in den letzten Jahrzehnten in zunehmender Zahl aufgetreten sind. Vogel- und Schweinegrippen z.B. sind der jetzigen Pandemie vorangegangen. Sie hatten allerdings in den Ländern des kapitalistischen Zentrums kaum Menschen betroffen, aber Tiere – Schweine, Hühner, Enten, Gänse, die „sicherheitshalber“ in Millionen hingeschlachtet wurden.
Seit der Jahrtausendwende kamen in China Reisanbau, Entenhaltung und die industrielle Produktion von Geflügel und Schweinen in einer katastrophalen Weise zusammen und schufen die perfekten Bedingungen für das Entstehen neuartiger Influenza-Stämme. Die Regierung ist unfähig oder unwillig, irgendeinen dieser Faktoren anzugehen. Epidemien werden behandelt, als seien sie ein angemessener Preis für den Wohlstand.
Aber China ist keine Ausnahme. Auch die USA und Europa waren der Ausgangspunkt für neue Influenza-Stämme, zuletzt H5Nx. Ihre transnationalen Konzerne und neokolonialen Stellvertreter haben die Ausbreitung von Ebola in Westafrika und von Zika in Brasilien zugelassen. (172)
Der Berufsstand [der Epidemiologen] kreist gegenwärtig fast nur um Aufgaben die ‚danach‘ anfallen, so wie im Zirkus der Stalljunge mit der Schaufel dem Elefanten folgt. Unter neoliberalen Verhältnissen werden Epidemiologen und Gesundheitswissenschaftler dafür bezahlt, den Dreck wegzuräumen, den das System gemacht hat, und noch die schlimmsten Fehlentwicklungen zu rechtfertigen, mögen sie auch zu tödlichen Pandemien führen. (171)
Für eine andere Landwirtschaft
Im aktuellen Fall von COVID-19 wirken Lebendmärkte und industrielle Lebensmittelproduktion vermittels der Landnutzung zusammen. Die Ausweitung der industriellen Produktion drängt freilebende Tiere, die zunehmend vermarktet werden, in die letzten unberührten Naturräume zurück. Über die Jagd verbreitet sich dann eine größere Bandbreite potenziell pandemischer Krankheitserreger. Perurbane Siedlungen mit zunehmendem Umfang und steigender Bevölkerungsdichte vergrößern die Kontaktfläche zwischen den wilden Tierpopulationen und den gerade urbanisierten Gebieten (und damit den Übergang von Krankheitserregern zwischen den Gattungen). Überall auf der Welt werden selbst noch die wildesten Arten in die Wertschöpfungsketten der Agrarindustrie eingespannt… Die Natur wird ausgeschlachtet, Ort für Ort, Gattung nach Gattung, und was übrig bleibt, steigt im Preis. (168f.)
Einige Forscher raten uns, Hühner und andere Nutztiere gentechnisch so zu verändern, dass sie gegen diese Krankheiten resistent sind. Sie verraten uns allerdings nicht, ob die Virenstämme dann weiter unter den [mittels Gentechnik] symptonfreien Tieren zirkulieren würden, bevor sie auf die mutmaßlich nicht gentechnisch veränderten Menschen übergehen. Wir werden so immer wieder auf eine vermeintliche technische Zukunftsutopie abgelenkt, um uns in einer kapitalistischen Vergangenheit festzuhalten … immer entlang jener Warenketten, die die neuen Krankheiten durch evolutionäre Prozesse erst entstehen lassen…
Fünf Jahrhunderte voller Kriege und Seuchen beweisen, dass das Kapital … durchaus bereit ist, über Berge von Leichen zu gehen. (170f.)
Wir sollten einen anderen Weg gehen: Mit strategischer Renaturierung [unfruchtbar gemachten Landes] und ortsspezifischer Agrarökologie kann „Biosicherheit“ eine neue Bedeutung annehmen: Durch eine große Bandbreite von unterschiedlichem Vieh, Geflügel und Nutzpflanzen können wir wieder immunologische Brandschneisen erreichen. Dann hemmt die natürliche Vielfalt des Lebens und seiner Arten eine pandemische Ausbreitung von (zur Resistenz mutierten) Erregern über (chemisch „gereinigte“) Monokulturen. Die natürliche Auslese dient als „Ökosystemdienstleistung“, wenn sich die Nutztiere und Pflanzen vor Ort fortpflanzen können. Dann geben sie an die nächste Generation ihre Immungenetik weiter, die bereits durch Krankheitserreger geprüft wurde.(172)
Die Ernährung ist die Grundlage unseres Lebens. Für den hier angesprochenen Umbau unserer Versorgung braucht es eine grundlegend andere Form von Landwirtschaft: kleinteilig, vielfältig, eine, die kooperiert und sich nicht in Konkurrenz zerspaltet. Am besten eine, in der alle Beteiligten sich die Verantwortung für die Pflege des Landes, der Tiere und der Pflanzen, für die Verteilung der Früchte und die Beschaffung der notwendigen Mittel solidarisch teilen. Umso mehr, als Dauer und Verlauf der Pandemiekrise nicht wirklich absehbar sind.
Diese Solidarität muss auch die Menschen außerhalb der Metropolen der Weltwirtschaft einschließen. Deren Selbsterhaltung wird vom Landgrabbing des Agrobusiness angegriffen und zerstört. Es gibt aber kein nachhaltiges und friedliches Leben für uns Menschen auf dem Planeten, wenn z.B. der fruchtbare Boden, der für die EU in Anspruch genommen wird, zu 40% außerhalb der Union liegt, aber heute z.B. in Österreich um ein Drittel mehr Boden verbaut ist als noch vor zwanzig Jahren.
Es gibt keine Ernährungssouveränität der Bevölkerung irgendeines Landes, wenn die Lebensmittelversorgung in den Händen einer Handvoll transnationaler Unternehmen liegt, die ihren Erfolg systemgemäß am Profit messen (müssen) und die Landwirtschaft (und nicht nur diese) von sich abhängig gemacht haben. Das extreme Aufgehen der Schere zwischen reich und arm spiegelt sich im Zerfall ganzer Staaten, in blutigen Epidemien der Gewalt, ja im Irrewerden großer Gruppen von Menschen und ihrer Anführer wider.
Dass von so einem Umbau eines solchen Zustands überhaupt das Wort in den Mund genommen werden kann, verdankt sich der weltweiten Existenz und dem Wirken einer Vielzahl meist sehr kleiner Initiativen, die hier einen Weg der Kooperation und Solidarität (ver)suchen. Dass ein großer Teil davon in der Landwirtschaft werk(e)t, entspricht der Lage und den Möglichkeiten. Die Zusammenarbeit dieser Gruppen auch.